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Die slowenische Version dieses Beitrags

Miran Hladnik

Prežihov Voranc – ein Genreautor?

In der Literaturgeschichte, die aus der zeitgenössischen kritischen Rezeption ihr korrektes Fazit gezogen hat, ist Prežihov Voranc als Autor des sozialen Realismus und als Kärntner Autor bekannt. Er trat nämlich 1925 als proletarischer Schriftsteller in der slowenischen Literaturszene hervor, mit dem Erscheinen der "Požganica" ('Die Brandalm', 1939), des Romans über die Kärntner Volksabstimmung, und der "Samorastniki" ('Wildwüchslinge', 1940), Kärntner Novellen, dann aber auch als profilierter Kärntner Regionalautor. Der Artikel richtet sein Augenmerk vor allem auf jene selteneren kritischen Stellungnahmen, die ihn als Autor von Bauernerzählung (der größte derartige Text ist "Jamnica", 1946) und Kriegsroman ("Doberdob", 1940), somit als Genreautor, ansahen. Die slowenische Literaturkritik war bei dem ansonsten kommunistischen Engagement des Autors einer marxistischen Interpretation seines Opus größtenteils nicht gewogen.

Prežihov Voranc je v literarni zgodovini, ki je korektno povzela sočasno kritiško recepcijo, znan kot socialnorealistični in kot koroški pisatelj. Na slovenski literarni sceni se je namreč pojavil leta 1925 kot proletarski pisatelj, z izidom "Požganice" (1939), romana o koroškem plebiscitu, in "Samorastnikov", koroških novel (1940) pa tudi kot prepoznaven pokrajinski, koroški avtor. Članek je pozoren zlasti na tiste redkejše kritiške izjave, ki so ga zagledale kot avtorja kmečke povesti (največje tako besedilo je "Jamnica", 1946) in vojnega romana ("Doberdob", 1940), torej kot žanrskega avtorja. Slovenska literarna kritika ob siceršnjem avtorjevem komunističnem angažmaju v glavnem ni bila naklonjena marksistični razlagi njegovega opusa.

In dreierlei Weise wird Prežihov Voranc (1893–1950) allgemein charakterisiert: als sozial-realistischer, als Kärntner und als Genreschriftsteller.1 Diese Charakterisierungen schließen einander nicht aus, deshalb sind sie für die Literaturgeschichte gleichermaßen bedeutsam. Im Folgenden soll untersucht werden, in welchem Konkurrenzverhältnis sie im Lauf der Zeit zueinander standen und wie sie einander in der Literaturkritik, Essayistik und Literaturgeschichte zu verdrängen versuchten, also: wie die kritische, essayistische und literarhistorische Rezeption von Prežihov Voranc aussah. Über Prežihs sozialen Realismus und über seine Kärntner Eigenart wurde schon ausführlich geschrieben, sehr wenig hingegen über den Autor als Vertreter der Bauernerzählung und des Kriegsromans. Ausschließliche, eindeutige Zuordnungen zu einer der genannten Kategorien finden sich selten. Zumeist widmen die Interpreten ihr Augenmerk mehreren Erkennungsmerkmalen zugleich. Den Wandel im Blick kann man daher daran erkennen, welche Zuordnung wieviel Raum in der Untersuchung einnimmt.

Prežih betrat den literarischen Markt als proletarischer Schriftsteller, d. h., in der späteren Terminologie ausgedrückt, als sozial-realistischer Schriftsteller. Sein erstes Buch, "Erzählungen", erschien 1925 und blieb ohne größeren Widerhall. Am ausführlichsten äußerte sich der sozialistisch gesinnte Redakteur der zentralen Literaturzeitschrift "Ljubljanski zvon" (und Prežihs Leidensgenosse im KZ Dachau während des Zweiten Weltkriegs) Fran Albreht, der den Text sehr knapp als "dokumentarische Studien über die Psyche, das Leben und den Kampf des kleinen slowenischen Bauern und Arbeiters" bezeichnete und den Autor samt seinem Verlag der proletarischen Szene zurechnete.2 Die Maßstäbe für diese Zurechnung waren das Dokumentarische, das Naturalistische, der kleine Mann, die einfache, interessante Fabel und die Veröffentlichung in einem proletarischen Verlag; die Grundlage für die durchaus positive Beurteilung des Autors der autobiographische Gehalt, die schöne Sprache und der Stil. Die Charakterisierung faßt den Inhalt der Einleitung des Verlages zusammen und stellt dadurch jene Dimension her, die Prežih selbst hatte hervorheben wollen, denn ursprünglich war beabsichtigt, dem Band den ausgesprochen proletarischen Titel "Straßenszenen, Aufzeichnungen eines Proletariers" oder "Das Leben der kotigen Leute" zu geben; bekannt ist auch die Aussage aus seiner Korrespondenz, man müsse einen "Proletkult" schaffen. Das Bild des Schriftstellers wurde in der Öffentlichkeit ebenso im Sinne einer sozialen oder Arbeiterliteratur auch von anderen Kritikern der politischen Linken geprägt; beinahe mehr als für den jungen Autor interessierten sie sich für den neuen Arbeiterverlag, der das Buch herausgebracht hatte. Das bescheidene Echo des Erstlings erklärten Literarhistoriker durch seine Vorzeitigkeit – der soziale Realismus wurde nämlich erst in den 30er Jahren durch die publizistischen Schriften jüngerer linker Autoren, insbesondere durch Ivan Brnčić, aktuell. In der literarischen Szene verursachte Prežihov Voranc erst großes Aufsehen, als 1935 in der linken Zeitschrift "Sodobnost" ("Aktualität") seine Novellen über die Wildwüchslinge zu erscheinen begannen. Schon ein Jahr später wurde er gemeinsam mit Ciril Kosmač und Miško Kranjec zu den wichtigsten Namen jener neuen Generation gezählt, die die Leere ausfüllte, die nach dem Tod Ivan Cankars entstanden war.

Das dritte, aufgrund der nationalen Relevanz des Textes umfangreichste Echo löste das Erscheinen von "Požganica" ("Die Brandalm", 1939)3 aus, die mit dem Preis der Stadt Laibach ausgezeichnet wurde. Der rote Faden der Kritiken ist die Beurteilung der Ereignisse rund um die Kärntner Volksabstimmung: Haben die Slowenen die Volksabstimmung wirklich nur wegen der Vernachlässigung der Klassenfrage verloren? – Der literarische Text lieferte nur den Aufhänger für historische, politische bzw. soziologische Überlegungen. Dadurch rückte die Aufmerksamkeit für den Schauplatz Kärnten in den Kritikerurteilen auf Platz zwei vor.

Dabei richtungsweisend erscheint die Rezension des Agramer Slawisten Ivo Brnčić, der zu einer Zeit, als das Lesepublikum offenbar zu einer regionalistischen Rezeption Prežihs hingeführt wurde, den Autor im Einklang mit seiner kommunistischen Gesinnung als sozialen Realisten definierte. "Die Brandalm" wird als Roman eines Kollektivs beurteilt, da sowohl die Hauptperson als auch die Liebesgeschichte, wie das bei den üblichen Formen der Fall war, fehlen, und gehört für ihn "zu den ersten slowenischen Versuchen, jener Erzählform Geltung zu verschaffen, die man den sozialen Realismus nennt. Der Begriff bedeutet, [...] daß der Schriftsteller den Menschen vor allem als gesellschaftliches Wesen beurteilt." Brnčić ist der erste in einer langen Reihe von Prežih-Interpreten, die Prežihs Spezifikum in einer Verflechtung sozialer und nationaler Fragen sehen. Natürlich ist Brnčić nicht blind für das Lokalkolorit des Werkes. Es liegt gerade im urwüchsigen Realismus des Schreibens begründet, denn in ihm "atmet mit betörender Macht die Schönheit seiner Heimaterde, diese wunderbare Landschaft; selbst wenn der Schriftsteller sich nie besonders bemüht, eigens auf sie hinzuweisen, lebt sie [...] so echt und greifbar anschaulich, daß sie der Leser geradezu sinnlich wahrnimmt."4

Mit der Beurteilung der sozial-realistischen Dimension des Romans ist auch die Ablehnung der ideologischen Grundlage des Textes von seiten der konservativen Kritiker verbunden. Am schärfsten protestierte Mirko Javornik, ein späterer politischer Emigrant, in der Zeitschrift "Slovenski dom" ("Das slowenischen Heim"), deren Redakteur er 1940 war, gegen "Die Brandalm", denn es handle sich um linke Propaganda, und löste damit eine Polemik aus, die dann der Krieg beendete.

Ein Jahr nach Erscheinen der "Brandalm" sorgten die "Samorastniki" ("Wildwüchslinge")5 für die Ausprägung des endgültigen Vorkriegsbildes des Schriftstellers. Der Kritiker Josip Vidmar beschrieb in seinem Einleitungsessay zu den Novellen im Band "Wildwüchslinge" (1940) Prežihs begeisternden Eintritt ins slowenische Lesebewußtsein und wandelte seine bisherige Rezeption des Autors entschieden ab. Anstelle seines Proletariertums betonte er nun Prežihs Kärntnertum. Nicht unwesentlich lenkte der Untertitel des Bandes "Wildwüchslinge" – "Kärntner Erzählungen" – die Rezeption. Die Relevanz der Urteile Vidmars bestätigt auch Prežihs Ansicht, unter allen Kritikern habe ihn dieser noch am besten getroffen. Die entscheidende Feststellung Vidmars ist, daß Prežihov Voranc der Autor "unserer Leute in Kärnten" sei und daß Kärnten "tief aus seinem Volk und aus dem Geist seiner Natur" mit Prežih den Slowenen jenen Poeten geboren habe, nach dem sich Oton Župančič so lange vergeblich gesehnt hatte. Ähnlich wurde im Sinne einer "Landschaft, die einen Dichter hervorbringt" bzw. eines "Autors, der seinen Landsleuten ein Denkmal errichtet" auch Miško Kranjec aufgenommen, den der Kritiker mit Prežih vergleicht. Im allgemeinen ist der soziale Realismus der 30er Jahre stark mit der regionalen Identifikation der Schriftsteller verknüpft.

Wahrscheinlich wäre die regionale Identifikation des Autor schon früher zum Ausdruck gekommen, hätte er die Veröffentlichung der Bauernerzählungen sofort nach dem ersten Buch 1925 verwirklicht, die, wie die Herausgeber der "Gesammelten Werke" in der Reihe der slowenischen Klassiker, Drago Druškovič und Jože Koruza, vermuten, durch "ein besonderes Interesse an nationalem Brauchtum und lokalen Besonderheiten, eine gewissermaßen ethnographische Tendenz"6 gekennzeichnet gewesen wäre. Daß die lokale Identität der Literatur Prežihs von allem Anfang an verhohlen im Hintergrund steht, belegt die Aussage des Autors, daß sich Leute aus seiner engeren Heimat in seinem Frühwerk wiedererkannt hätten.

Die katholische Seite mit Vinko Beličič (wieder einem späteren Emigranten) an der Spitze bestätigte im allgemeinen Vidmars Einordnung von Prežih als Regionalist: "So wird in unsere Literatur eine neue slowenische Region: das östliche Kärnten – eingeführt", mit einer ganzen Reihe von Lokalismen und Provinzialismen, die für Linguisten von Interesse sind: "Die Welt des Prežihov Voranc ist die Landschaft zwischen Obir, Petzen, Olševa, Saualm, Uršlja gora, dem Bacherngebirge, der Drau, Völkermarkt und dem Jauntal. [...] Die Reihe der Typen [...] ist sehr bunt, dennoch sind diese Typen irgendwie zu einem einheitlichen Bild der Landschaft verbunden." Übertrieben deutlich spielt er sogar auf seine Zuhörigkeit zur sogenannten Blut- und Boden-Literatur an: Prežihs Figuren seien "typische Menschen der Materie: Erde, Brot, Blut." Genauso eindeutig wie Beličič Prežih zu den Regionalautoren schlägt, verurteilt er ihn auch in diesem Sinne, da sich die Kärntner in den "Wildwüchslingen" nicht erkennen könnten und Prežih deshalb nicht der beste Poet dieser Landschaft sei.7 Die Divergenz zwischen den tatsächlichen Kärntnern und Prežihs literarischen Portraits wurde dreißig Jahre später auch von Zadravec in seiner Literaturgeschichte festgestellt: "Es scheint, als wäre der regionale Kärntner Volkstypus weicher."8

Prežihs Kärntner Provenienz wurde zum Hauptthema der kritischen Würdigungen der Rezensenten aller Couleurs, ein wichtiger Stellenwert kam ihr sogar in Brnčić' kritischem Beitrag in der "Laibacher Glocke" im Jahr 1940 zu, der in seinen Hauptthemen mit Vidmars Essay vergleichbar ist: Mit Prežihs Auftreten habe "auch das slowenische Kärnten endlich unserer Gegenwartsliteratur ihren Tribut gezollt", der Schriftsteller sei "der Barde 'dieses verworfenen, verfluchten Volkes'".9 Klare Urteile über den sozial-realistischen Charakter von Prežihs Literatur gab es zu dieser Zeit wenige.

Eine Reihe von Charakterisierungen abstrahierte Prežihs Kärntner Steckbrief zu einem gesamtslowenischen. Aus dem betont regionalen Autor wurde ein betont nationaler. Das Modell einer derartigen Beurteilung des Werts für das nationale Selbstbewußtsein legte Marja Boršnik in ihrer umfangreichen Kritik in der "Aktualität" im Jahr 1940 vor. In dieser Perspektive präsentierte sich ihr Prežihov Voranc als Grundstein einer neuen Ära in der literarischen Entwicklung, die bislang im Zeichen des politischen und weltanschaulichen Liberalismus sowie der stilistischen Romantik von Prešeren bis Cankar verlaufen war. Prežihov Voranc brach mit dieser pessimistischen "Črtomir"-Tradition, die ihren Namen der tragischen Hauptfigur aus France Prešerens "Die Taufe an der Savica" (1836) verdankt. Die nationale Bedrohtheit in Kärnten las sie als Metapher der Bedrohtheit der gesamten slowenischen Tradition. Qualitätsbeweise waren für sie, wie schon für die Kritiker vor ihr, der autobiographische Gehalt (d. i. hier die Erlebtheit des Stoffes), der Vitalismus des Autors, seine "saftige" und "plastische" Sprache und besonders seine optimistische nationale Botschaft, garantiert durch den vitalen Menschen vom unteren Ende der sozialen Leiter, während sie am da und dort forcierten Naturalismus keinen Gefallen fand. Die Novelle "Boj na požiravniku" ("Der Kampf mit dem Ackermolch") reihte sie unter die Kunstwerke von Weltgeltung. Diese slawistische, akademische Interpretation wurde ergänzt durch Zadravec' "Geschichte des slowenischen Schrifttums", deren Hauptaugenmerk "der nationale Gedanke und das Gefühl" sind: "Voranc verwandte einen großen Teil seiner schriftstellerischen Kraft und seiner politischen Arbeit darauf, daß der Slowene insgesamt, insbesondere aber der an der Nordgrenze ehebaldigst gesunden möge."10

Knapp vor Ausbruch des Krieges erschien der "Kriegsroman des slowenischen Volkes" – "Doberdob" (1940). Schon aufgrund des klaren Genreuntertitels war zu erwarten, daß die Kritiken diese Dimension thematisieren würden. Für slowenische Verhältnisse streng und ablehnend war der äußerst fleißige Kritiker und Übersetzer Božidar Borko, politisch der Mitte zuzurechnen, als erster Rezensent im "Jutro" ("Der Morgen") 1941. Er meinte, daß den vom Ersten Weltkrieg inspirierten Kriegsromanen nur noch dokumentarischer Wert zukomme; so werde es auch "Doberdob" ergehen, "einem typischen Zeitdokument". Der Kritiker war nicht zufrieden mit dem Untertitel "Kriegsroman", der allzuviel verspreche – verglich er ihn doch mit einem unerreichbaren Vorbild, Lew Nikolajewitsch Tolstois "Krieg und Frieden", der auch das zivile Leben und die gesamte nationale und soziale Problematik umfaßt. Weil er nur die Erlebnisse einer kleinen Gruppe von Soldaten beschreibe, sei er kein echter kollektiver Roman und deshalb auch nicht "das erwartete große Kriegsepos des slowenischen Volkes".11 Die linke Publizistin Angela Vode, die schon zwei Jahre zuvor aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen worden war und auch nach dem Krieg von den neuen Machthabern inhaftiert wurde, lehnte in der Zeitschrift "Ženski svet" ("Die Welt der Frau") Borkos strenge Prämissen ab und lobte die Entscheidung des Autors für den Untertitel "Kriegsroman". Den Lyriker Branko Rudolf irritierte das Fragmentarische des Reportagenstils, sonst war "Doberdob" für ihn im Vergleich zu anderen europäischen Romanen ein wichtiges Werk im Genre. Der Dramenexperte Vladimir Kralj, der während des Krieges Prežihs Lagerschicksal teilte (schon der zweite Kritiker!), bemerkte 1951 den Unterschied zwischen den Genrevorbildern und "Doberdob": Prežihs Roman ist im Vergleich zum tagebuchhaften Reportagencharakter des europäischen Kriegsromans retrospektiver und chronikaler.

In der slowenischen Literatur gibt es nicht sehr viele Kriegsromane und -erzählungen, zu erwähnen wären allenfalls Fran S. Finžgars "Prerokovana" ("Die Prophezeite", 1915/16), Vladimir Levstiks "Gadje gnezdo" ("Das Natternnest", 1918), Juš Kozaks "Razori" ("Furchen", 1919), Andrej Budals "Župan Žagar" ("Bürgermeister Žagar", 1927) und Davorin Ravljens "Črna vojska" ("Die Schwarze Armee", 1938). Obwohl durch ein Korpus von Texten wie Henri Barbusses "Das Feuer", Émile Zolas "Der Zusammenbruch", Ludwig Renns "Krieg", Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues", Jaroslav Hašeks "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk im Weltkrieg" und eine Reihe anderer markiert, scheint der Kriegsroman auch international keine so feststehende Genrebezeichnung zu sein, um sie auch in literarischen Lexika finden zu können. Tatsache ist, daß Prežih durch den Untertitel die Genrezugehörigkeit des Textes deutlich zum Ausdruck brachte und durch den ursprünglich geplanten Titel "Feuer" sogar unmittelbar auf Barbusses Genrevorbild verwies. Und zumindest für die komischen Episoden im "Doberdob" liegt die Vermutung nahe, daß sie unter Hašeks Einfluß entstanden, obwohl Drago Druškovič eine unmittelbare Anlehnung in Abrede stellt; der Lektor Ferdo Kozak strich offenbar aufgrund desselben Verdachts reichlich komische Episoden aus Prežihs Manuskript.

Das für slowenische Verhältnisse auflagenstarke "Jamnica" ("Das Dorf in der Senke") – Startauflage 10.000 Stück sowie zahlreiche Übersetzungen – ist aus der Sicht des Genres zweifellos eine Bauernerzählung bzw. ein Bauernroman, deshalb interessiert es hier besonders, wie die Kritik 1946 bei seinem Erscheinen auf das Buch reagierte. Die Rezeption wurde schon durch den Untertitel "Roman einer Nachbarschaft" (im Konzept: "Roman eines slowenischen Dorfes") und durch die frühen brieflichen Ankündigungen des Romans durch den Autor gelenkt, und trotzdem sprachen die Kritiker von allem eher als von der Genrezugehörigkeit des Textes. Anton Slodnjak beurteilte die monumentale Komposition positiv, nahm aber Anstoß an den übertriebenen moralischen Exzessen der Personen. Den gleichen Einwand formulierte Anton Ocvirk, der aber auch mit der novellistisch zerbröckelten Komposition, der Weitschweifigkeit, dem Mangel an Organischem und dem Mosaikcharakter des Werks unzufrieden war. Das Hauptthema der Kritik von Ocvirk war die periodisierende stilistische Beurteilung des Textes im Rahmen des neuen Realismus, dem es um die "künstlerische Darstellung sozialer Tatsachen" ging.12 Die Vorkriegsmode des kollektiven Romans war offenbar schon vorbei, denn mit der novellenhaft zerschlagenen Komposition waren weder Lino Legiša noch Dušan Pirjevec zufrieden. Prežih war über die Kritiker ungehalten, sie beschäftigten sich nur mit den formalen Problemen des kollektiven Romans und nicht mit seiner inhaltlichen Seite. Die regionalen Besonderheiten (der Roman führt das Leben der kleinen Kärntner, "unserer Kärntner" vor Augen) wurden von der Kritik natürlich auch jetzt nicht übersehen.

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Der Genreblick auf Prežih (und auch auf andere Autoren) ist in der slowenischen Literarhistorie weniger üblich, obwohl ihn eine Reihe kritischer Vergleiche mit fremdsprachigen Genretexten rechtfertigt – am häufigsten wird der negative mit Knut Hamsuns Bauernroman "Erdsegen" bemüht. Beim Nachdenken über Prežihs Genretexte stehen die Bauernerzählung und der Kriegsroman im Vordergrund (die Lagernovelle gehört zum Genre Kriegsprosa). Bei aufmerksamer Lektüre der Kritiken findet man in so mancher auch Genrebezeichnungen für den Autor – zwar nicht an exponierter Stelle, aber immerhin. Sehen wir sie uns der Reihe nach an.

Noch nicht ganz klar äußerte sich über das damalige Opus von Prežih der Redakteur der katholischen Zeitschrift "Dom in svet" ("Heim und Welt") Tine Debeljak (schon der dritte politische Emigrant in dieser Übersicht) in der Tageszeitung "Slovenec" ("Der Slowene") 1939. Er bezeichnete ihn von Genre und Stil her als zum bäuerlichen Naturalismus gehörig und legte seinen materialistischen, proletarischen weltanschaulichen Hintergrund frei.13 Gegen Ende 1939 wurde in derselben Zeitung "Die Brandalm" kurz positiv als ein Werk eines "bäuerlichen Opus" mit einer leider allzu deutlichen sozialistischen Tendenz beschrieben.14 Josip Vidmar näherte sich einer Genresicht an, als er 1940 schrieb, daß Prežihov Voranc im gesamtslowenischen Sinn der geeignetste Kandidat sei, um ein "Bauernepos, den großen Text unseres Volkes" zu schaffen.15 Vom Genre her wurde Prežih vom bereits erwähnten Vinko Beličič eingeordnet. Er polemisierte gegen Vidmar wegen der literarischen Traditionen, in denen Prežih stehen sollte, und definiert den Autor als in der Tradition der "Bauernerzählung und Charakterstudien, wie sie in der slowenischen Literatur vor allem von Tavčar und Kersnik gepflegt wurden" stehend, und verwehrte sich entschieden gegen eine sozialrevolutionäre Tendenz, "die sich als propagandistische Kritik der bestehenden Gesellschaftsordnung oder als Lobpreis der freien Liebe oder als symbolisierter Sieg des Proletariats über den Kapitalismus präsentiert".16 Genremäßig deutlich bezeichnete der Theaterwissenschaftler Filip Kalan den Roman "Das Dorf in der Senke" mit dem Begriff "kollektive Bauerngeschichte", interessierte sich aber ansonsten eher für die akademische Frage, ob es sich bei dem Text um einen Roman oder einen Novellenzyklus handelt.

Drago Druškovič und Jože Koruza führten in der kritischen Ausgabe von Prežihs "Gesammelten Werken"17 die folgenden Genrebezeichnungen an: proletarisch-landstreicherische Skizzen, "bäurische" bzw. Bauernerzählungen. Von einem Zweifel, die Angemessenheit der Genrebeurteilung des Werks von Prežih betreffend, zeugt die Tatsache, daß Koruza das Syntagma "Bauernerzählung" in Anführungszeichen setzt.18 Lieber als über das Genre der Bauernerzählung schrieb er über den Einfluß der Volkstradition auf den Schriftsteller.

Anton Slodnjak nannte den frühen Prežih sogar einen Genreerzähler. Der Ausdruck war für ihn synonym mit Anfängertum, Amateurhaftigkeit und Folklorismus. Prežih reihte er unter die Verfasser von Prosa mit bäuerlicher Thematik ein. Der Autor soll später "die Reihe unserer Bauernerzählungen abrupt abgerissen haben", er habe mit der pseudoromantischen und idealistischen sowie individualistischen Darstellung des Bauernstandes gebrochen und sei unter dem Einfluß des Marxismus zum sozialen Realisten geworden. Hinsichtlich seiner Thematik könne man ihn "immer noch ohne Schwierigkeiten zu unserer traditionellen Prosa zählen", zur "alpenslowenischen Erzählweise" Ivan Tavčars, Fran S. Finžgars und Janez Jalens, in seiner Aussage sei er hingegen nicht mehr traditionell – er sei zu autodidaktisch, schreibe zu sehr aus seiner eigenen bäuerlichen Erfahrung, sei im Unterschied zu seinen Vorgängern Sozialist, setze sich für eine Kollektivierung ein und sei "gegen das tragisch-fatale individuelle Schuften auf den zu kleinen bäuerlichen Besitztümern".19

Erst in den 80er Jahren findet man häufiger Genrebezeichnung, vor allem bei Janko Kos. Prežih "folgt der älteren slowenischen Tradition der Bauernerzählung", "'Das Dorf in der Senke' ist ein typischer Bauernroman". Prežihs Name scheint heute auch unter den Lexikonlemmata "Dorfgeschichte" bzw. "Bauernliteratur" auf, auch ich selbst erwähne ihn mehrfach unter dem Titel "Bauernerzählung". "Die Brandalm" ist im Untertitel zwar genauer als "Roman aus Umsturztagen" definiert, dennoch fiele es schwer, das im Sinne eines Genre aufzufassen, obwohl zum selben Thema noch etliche andere sogenannte "Volksabstimmungsromane" entstanden sind: Ivan Pregeljs "Nočejo umreti" ("Sie wollen nicht sterben", 1930), Ivan Matičič' "Moč zemlje" ("Die Macht der Erde", 1931), Fran Roš' "Zvesta četa" ("Die treue Kompanie", 1933). Matičič' und Pregeljs Texte gehören zum Genre der Bauernerzählung, genauer gesagt zum Genretypus der patriotischen Erzählung. Ginge es in der "Brandalm" nicht um den relativ geringen Abstand zu den Ereignissen und um die Erfahrung des Autor durch Erinnerung und Mitwirkung in ihnen, träfe die Einordnung "historischer Roman" zu, so scheint die treffendste "kollektiver Reportageroman" zu sein, was aber natürlich nur die Form und kein Genre bezeichnet.

Im allgemeinen gilt, daß die Genredimension in Prežihs Schaffen die Publizistik nicht interessierte, wobei der Autor in dieser Hinsicht das Schicksal anderer slowenischer Klassiker teilte. Die Interpreten setzten sich lieber mit genealogischen Problemen sowie der weltanschaulichen und ideellen Dimension der Texte auseinander. So vielfältig die Kritiken und Interpretationen Prežihs sind, ist den meisten der Widerwille gegen die marxistische Erklärung seines Schreibens gemeinsam, d. h. gegen jene Beiträge, die seine sozial-realistische Seite hervorhoben. Den Fängen der sozial-realistischen Literatur entriß man ihn, indem man den Anteil von Mythen, Volkstradition und Patriarchalität in seiner Prosa betonte (Marja Boršnik, Jaroslav Dolar, Jože Koruza, Marija Mitrović, Bojan Štih, Josip Vidmar), die autobiographische Perspektive, die Erfahrungsdimension, das Entscheidende der Kärntner Region beim Entstehen der Texte, seine nationale Relevanz oder der Einfluß der christlichen Symbolik und des biblischen Stils (Marja Boršnik, Taras Kermauner, Marijan Kramberger, Anton Slodnjak, Henry Cooper). Der letztgenannte, ein amerikanischer Slowenist, ist überzeugt, die Kritiker hätten die sozialökonomische Interpretation Prežihs übertrieben; durch die Komposition und Metaphorik der "Wildwüchslinge" beweist er, daß, im Gegensatz zur radikalen Ideologie des Autors, Prežihs Stil konservativ ist; die "Wildwüchslinge" sind eine ausgewogene Allegorie der Evangelien, genauer gesagt des Johannesevangeliums.20

Offenbar herrschte und herrscht im slowenischen kulturellen Bewußtsein dem System des sozialen Realismus gegenüber ein ähnlicher Widerwille, wie er seinerzeit in der Literarhistorie dem immer kritisierten Naturalismus gegenüber geherrscht hat. Der Widerwille ist zählebiger im wertbewußten (und wertbelasteten) kritischen und essayistischen Schreiben als im wertneutralen. Er beruft sich insbesondere auf die unangenehme weltanschauliche Grundlage der Richtung, auf den Marxismus, und die mit ihm verbundene Tendenz. Die permanente polemische Opposition zum sozialen Realismus scheint aus heutiger Sicht besonders interessant, weil ein autoritäres, exklusives Urteil über Prežih als sozialen Realisten überhaupt nicht existiert. Es gibt nur pauschale, schulische Zuordnungen, die ersten kritischen Urteile von Brnčić, einige Aussagen von Ocvirk und die in Slowenien nicht wahrgenommenen Dissertationen von Mirko Messner21 und A. V. Goreckij.22

Ein Blick auf die potentiellen Fundstellen autoritärer literarhistorischer Urteile, d. h. auf die großen "offiziellen" Literaturgeschichten, legt solche Aussagen nicht frei. Franc Zadravec interessierte sich in seiner "Geschichte des slowenischen Schrifttums" zuerst für Prežihs nationale Rolle und erst dann für die "sozialen Gegensätze in einem Bergdorf",23 die Beziehung des Menschen zur Erde und seine Regionalität. Die andere "offizielle" Literaturgeschichte, die "Geschichte des slowenischen Schrifttums" des Verlags Slovenska matica (der Verfasser des sechsten Bandes war Lino Legiša), behandelt Prežihs Frühwerk im Zeichen seiner peripherregionalen Herkunft und seiner thematischen Durchdrungenheit von der Bauernwelt. Der dieser Welt angemessene Stil war ein "Realismus in der bodenständig betonten Ausprägung" "mit Elementen der einfachen volkstümlichen Erzählkunst".24 Beim reifen Werk von Prežih legt er das Hauptaugenmerk auf die Kärntner Herkunft des Autors. Die Schreibmotive waren Heimweh, das Vorbild der regionalistischen Literatur in Europa, besonders Hamsun, die Tradition der volkstümlichen Erzählkunst sowie seine persönliche bäuerlich-proletarische Erfahrung. Er äußert sich zu den romantisch originellen Personen und ihrer manchmal doch schon naturalistischen Darstellung, verliert aber seltsamerweise über das marxistische Revolutionärtum kein Wort.

Prežihov Voranc war der Verfasser von Bauernerzählungen und eines Kriegsromans, also war er neben allen anderen Charakteristika auch ein Genreautor, trotz der Tatsache, daß er die in mancherlei Hinsicht traditionellen Genreregeln modifizierte – im Einklang mit der Zeit, in der er schrieb, und im Einklang mit seinem Format als Autor. Schließlich sind Genreregeln auf dem Gebiet der Prosa nichts Ewiges; jede Zeit und jeder Autor legen sie sich in ihrer Weise zurecht und garantieren dem Genre dadurch seinen Fortbestand.


(Deutsch von Fabjan Hafner)


Fussnoten

1 Vgl. als wichtigste Arbeiten zu und über Prežihov Voranc: Prežihov zbornik. Hg. von Marja Boršnik. Maribor: Obzorja 1957; Prežihov album. Hg. von Tone Sušnik. Ljubljana: Borec 1983; Prežihov Voranc 1893–1993: Zbornik prispevkov s simpozija ob 100-letnici rojstva. Hg. von Janez Mrdavšič und Jože Pogačnik. Maribor: Kulturni forum 1993 (= Piramida 1). Dazu eine deutsche Studie: Bernhard Perchinig: Heimweh nach dem Krieg, Sehnsucht nach der Alm: Perkonigs "Patrioten" und Voranc' "Die Brandalm" als Initiationsromane. In: Aufrisse 11 (1990). H. 3, S. 26–32.

2 Ljubljanski zvon 46 (1926), S. 310.

3 Prežihov Voranc: Die Brandalm. Roman aus den Umsturztagen. Übers. von Anton Svetina und Peter Wieser. Klagenfurt: Drava; Triest: Editorale stampa Triestina 1983.

4 Ljubljanski zvon 59 (1939), S. 512–515.

5 Prežihov Voranc: Wildwüchslinge. Übers. von Janko Messner. Maria Rain u. a.: Petrei 1963; Klagenfurt: Drava; Triest: Editoriale stampa Triestina 1983; als englische Ausgabe liegt vor: The self-sown. Bilingual edition of a Slovene classic. Übers. von Irma M. Ozbolt. New Orleans: Prometej 1983.

6 Lovro Kuhar – Prežihov Voranc: Zbrano delo. Hg. von Drago Druškovič und Jože Koruza. Bd. 2. Ljubljana: Državna založba Slovenije 1964 (= Zbrana dela slovenskih pesnikov in pisateljev), S. 457.

7 Dom in svet 53 (1940), S. 235–237.

8 Zgodovina slovenskega slovstva. Bd. 7. Hg. von Franc Zadravec. Maribor: Obzorja 1972, S. 151.

9 Ljubljanski zvon 60 (1940), S. 400–403.

10 Zgodovina slovenskega slovstva (Anm. 8), S. 144.

11 Zit. nach Lovro Kuhar – Prežihov Voranc: Zbrano delo. Hg. von Drago Druškovič und Jože Koruza. Bd. 5. Ljubljana: Državna založba Slovenije 1969 (= Zbrana dela slovenskih pesnikov in pisateljev), S. 283–285.

12 Novi svet 1 (1946), S. 791–809.

13 Slovenec, Ljubljana, 8. 7. 1939, S. 8.

14 Slovenec, Ljubljana, 31. 12. 1939, S. 15.

15 Josip Vidmar: Einleitungsessay zu Prežihov Voranc: Samorastniki. Koroške povesti. Ljubljana: Nova založba 1940.

16 Dom in svet 53 (1940), S. 235–237.

17 Lovro Kuhar – Prežihov Voranc: Zbrano delo. Hg. von Drago Druškovič und Jože Koruza. Bd. 1. Ljubljana: Državna založba Slovenije 1962 (= Zbrana dela slovenskih pesnikov in pisateljev), S. 441.

18 Kuhar – Prežihov (Anm. 6), S. 460.

19 Anton Slodnjak: Proza Prežihovega Voranca. In: Jezik in slovstvo 13 (1968). H. 3, S. 75.

20 Henry Cooper: The structure of Prežihov Voranc's "Samorastniki". In: The Slavic and East European Journal 32 (1988). H. 1, S. 72–83.

21 Mirko Messner: Prežihov Voranc und die Bauern. Klagenfurt: Drava 1980 (= Dissertationen und Abhandlungen / Slowenisches Wissenschaftliches Institut 4; zugl. Wien: phil. Diss. 1976).

22 A. V. Goreckij: Zbirka Prežihova Voranca "Samorodki", "Slov'jans'ke literaturoznavstvo i folkloristika: Respublikanskij mizvidomcij zbirnik", Vipusk 5. Kijev: Naukova Dumka 1970, S. 15–25.

23 Zgodovina slovenskega slovstva (Anm. 8), S. 151.

24 Lino Legiša: Zgodovina slovenskega slovstva. Bd. 6. Ljubljana: Slovenska matica 1969, S. 66f.


Publiziert in:
Prežihov Voranc – ein Genreautor? Zur Geschichte der österreichisch-slowenischen Literaturbeziehungen. Ur. Andreas Brandtner in Werner Michler. Wien: Turia & Kant, 1998. 319–30.

Http://www.ijs.si/lit/prezih_n.html, 1998 und 24. Mai 2002.
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