The role of translation in Slovene vs. German literary competition
(The
influence of bilingualism on the choice of narrative genres for
translation, as exemplified by Slovene literature)
In the 19th century Slovene intellectuals read humorous genres in German,
and nationally-representative genres, such as rural stories and
historical novels, in Slovene. They gave priority to original writings
which alone attested to the real national creative power and legitimacy of
the independent national language. They did not themselves demand
translations from German but, from fear of a German linguistic, cultural
and economic monopoly and from rivalry with it, preferred to recommend to
the general populace translations from other, in particular Slavic,
languages. They tolerated the translations of German texts by Christoph Schmidt and Karl May,
and Volksbücher. This national strategy for translation remained in effect until
the changes in the state framework after the fall of Austro-Hungary in
1918. From the beginning of the 20th century translation begins to win
recognition as a creative activity; and for the thirties what is
significant is that, out of solidarity, priority was given to translating
the classics of the smaller literatures.
Als ich vor beinahe 2 Jahren diesen Beitrag konzipierte, da hatte ich dabei eine gattungsgeschichtliche Bewertung der Übersetzungen deutscher Belletristik in das Slowenische im vergangenen Jahrhundert im Sinne. Wie es so in den Geisteswissenschaften geschehen kann, verlegte sich der akademische Diskurs schon sehr bald auf die kulturellen und politischen Hebel des Übersetzens. Übersetzen erwies sich so als überlegte und geplante Tätigkeit im Projekt der nationalen Konstitution des Slowenentums. Thema meines Referates ist also die Übersetzungspolitik der Slowenen in der Zeit ihrer nationalen Emanzipation im 19. Jahrhundert. Es wird mich dabei nicht interessieren, wie (ästhetische Fragen, Adäquatheit der Übersetzung) sondern was und warum übersetzt wurde (Gattungswahl und Funktion der Übersetzung).
Vergleichbares Material für andere Nationalliteraturen ist mir zwar nicht zur Hand, aber ich kann eine breitere Gültigkeit meiner Erkenntnisse, mindestens was die Völker des ehemaligen Österreich-Ungarns betrifft, vermuten. Bei möglichen Vergleichen sind jedoch einige slowenische Besonderheiten zu berücksichtigen, in erster Linie die räumliche Situation zwischen dem deutschen, italienischen, ungarischen und südslavischen Sprachraum, die jahrhundertelange Integration im deutschen Herrschafts- und Kulturraum, sowie die relativ bescheidene Bevölkerungsmenge (heute gibt es knapp 2 Millionen Slowenen).
Zu Beginn bin ich Ihnen eine kurze lexikonartige Information über die Slowenen schuldig: Ansiedlung auf dem Gebiet der Ostalpen bis etwa Wien im 6. Jahrhundert mit einem Zentrum im heutigen Kärnten, eine kurze politische Selbständigkeit im Mittelalter, dann aber von Norden her eine stufenweise Assimilation mit dem Deutschtum und der Einschluß in deutsche staatliche Herrschaftsgebiete, schließlich Teil Österreich-Ungarns bis 1918, als man sich entschloß, einen südslavischen Staat zu bilden und dessen Bestandteil zu werden. Noch einige kulturelle Marksteine: Das erste slowenische Schriftdenkmal um das Jahr 1000 (Freisinger Denkmäler), die ersten slowenischen Bücher ab 1550 als Verdienst des Protestanten Primus Truber (er lebte als Asylant in Württemberg und gab seine Bücher in Tübingen heraus). Die Blüte der Lyrik in der Romantik (der Dichter France Prešeren), 1866 der erste Roman, Originaldramatik von 18. Jahrhundert, die von Qualität dann erst in der Moderne (Ivan Cankar).
Mindestens seit den im 16. Jahrhundert und danach war das Grundproblem des Slowenentums die Frage nach dem eigenen Sinn (lohnt es sich für eine so bescheidene Population überhaupt, seine eigene Sprache und Kultur zu haben) und die Bestimmung eines eigenen Ortes zwischen der Kultur des deutschen Nordwestens und dem verwandten Hinterland des slawischen Südostens. Diese Lage dazwischen, aus der sich die slowenische nationale Identität speist, illustriert am schönsten eine Äußerung des Schriftstellers und Dramatikers der Moderne, Ivan Cankar (1876–1918), der lange Jahre als slowenischer Erzähler und Dramatiker in Wien zugebracht hat, als er sich im Jahre 1913 für die politische Einigung der Südslaven bekannte:
Irgendeine jugoslavische Frage im kulturellen oder sogar im sprachlichen Sinne existiert für mich überhaupt nicht. [...] Dem Blut nach sind wir Brüder, der Sprache nach wenigstens Vettern, – der Kultur nach, die eine Frucht jahrhundertelanger getrennter Erziehung ist, sind wir uns untereinander aber wesentlich fremder, als unser Bauer aus Oberkrain einem Tiroler Bauern ist oder es der Winzer aus Gorica dem aus Friaul ist.[1]Die vier Kapitel dieses Beitrags beruhen auf vier Bedingungen, die die Übersetzungspolitik der Slowenen in der Zeit der nationalen Konstituierung bestimmten:
Was die Übersetzungen anbelangt, ist mein Gedanke der folgende: Übersetzungen nur, wenn es sein muß. Die Übersetzung ist immer nur fremdes Gut; wer es kann, der sollte etwas Originales schreiben. Nur was original ist, bei uns heimisch, das ist das unsrige. [2]So schrieb in den reifen Jahren seines Lebens Josip Stritar (1836–1923), der weltläufigste unter den slowenischen Autoren des 19. Jahrhunderts, der sein ganzes Leben als Professor eines Gymnasiums in Wien verbrachte, wo er für das repräsentative literarische Blatt Zvon (Glocke) schrieb und es herausgab und wo er mit seinen kritischen Beiträgen die Richtung der slowenischen Entwicklung bestimmte. Seine Aussage definiert zweifelsfrei die Rolle der Übersetzung im System der nationalen Kultur eines Volkes, das sich erst einen gleichberechtigten Platz unter den Kulturnationen schaffen muß. Zu einem solchen Ziel konnte nur ein hinreichend starkes originales Schaffen führen und so gab es für belletristische Übersetzungen keinen richtigen Bedarf. Die relativ seltenen Übersetzungen der Weltklassiker aber bewiesen doch die »Geschmeidigkeit« und Reife der slowenischen Sprache auch auf künstlerischem Gebiete.
Das starke programmatische literarische Bestreben hat schließlich zu einem Phänomen geführt, das in der Welt einzigartig ist: Wegen des Fehlens staatlicher Symbole konstituierte sich das Slowenentum als literarische Nation. Der Kritiker Etbin Henrik Costa hat in einem Überblick über die literarischen Lesestoffe der östereichisch-ungarischen Länder Mitte des vergangenen Jahrhunderts in einer deutschen Zeitung in Laibach auf die erstaunlich große Zahl der von den Slowenen herausgegebenen Gedichtbände hingewiesen. [3]
Von der Besessenheit der Slowenen, ihre nationale Identität durch die Literatur zu beweisen, zeugt auch die folgende Anekdote. Am 12. Februar 1866 hat der deutsch-liberal orientierte krainer (Krain ist die zentrale Landschaft Sloweniens) und deutsche Dichter Anastasius Grün, mit richtigem Namen Anton Graf Auersperg, die Hörer im Krainer Landtag davon überzeugt, daß, mit Ausnahme des Religionsunterrichts, das Slowenische wegen des Fehlens der Lehrbücher nicht eine dem Deutschen gleichberechtigte Unterrichtssprache in den slowenischen höheren Schulen sein könne. Dabei wies er auf zwei übersetzte Lehrbücher hin und sagte:
Es ist aber für den lernbegierigen und namentlich den im Unterrichte in der Selbstbildung weiter vorrücken wollenden Schüler wirklich traurig, im Besitze dieser beiden Bücher sagen zu müssen, wie der griechische Philosoph: Omnia mea mecum porto.In den deutschen Zeitungen wurde am folgenden Tage berichtet, Graf Auersperg habe die ganze slowenische Literatur in den Landtag mitgebracht – und zwar in seinem Taschentuch.[4] Diese Anekdote hat die Slowenen schmerzlich getroffen. Eine leidenschaftliche slowenische Herausgebertätigkeit, die direkt darauf folgte, kann auch als ein programmatischer Beweis dafür verstanden werden, daß Auerspergs Behauptung falsch war.
Bei der Volksliteratur, die eine der Trivialliteraturgattungen ist, ging es um das Volksbuch: der Gattung nach waren dies Heiligen- und Herrscherbiographien – über die Gräfin Genoveva (20 Ausgaben bis zum Jahre 1921), die selige Hildegard, Hirlanda, die bretonische Herzogin (je 6 Ausgaben), über Prinz Eugen von Savoyen, den mächtigen Baron Ravbar usw. –, Findlings- und Mädchenbücher (Ottmar Lautenschlager, Johann der Findling mit 5 Ausgaben), Familiengeschichten, später dann Räuber-, Piraten-, Indianer-, Kriminal- und Geheimnisgeschichten. Überall hier wurde die Forderung nach Originalität weder erhoben noch hörte man einen Vorwurf, weil da fast alles aufgezählte und noch viel anderes übersetzt und nach deutschem Vorbild hingebogen war, dabei war aber mehr noch als die Originalität die praktische Bestimmung von Bedeutung: besonders als religiöse oder wirtschaftliche Belehrung. In der slowenischen Literaturgeschichte wurde für einen großen Teil dieser Art Literatur der Name einer sogenannten Christoph-Schmid-Erzählung eingeführt, weil sie sich ein Beispiel an dem schwäbischen Kanonikus (1768–1854) nahm, dessen Werk in Gänze unverzüglich und oftmals hintereinander ins Slowenische übersetzt wurde: Rosa von Tannenburg (1820), Das Blumenkörbchen (1823; beide mit je drei Übersetzungen in sechs Ausgaben), Die Hilfe in der Not oder das hölzerne Kreuz (1826), Eustachius (1828), Gottfried der junge Einsiedler (1829, drei Übersetzungen) usw. Bis 1927 konnten so etwa 28 Ausgaben von Schmid'schen Auswahlen erscheinen. Es ist aber interessant, daß man von einem einfachen und einseitigen Einfluß der deutschen katholischen Jugendliteratur auf die slowenische nicht sprechen kann. Die Werke nämlich, denen die slowenische Kritik am meisten vorwarf, Christoph Schmid plagiiert zu haben, waren vor den entsprechenden Werken Schmids entstanden, was beweist, daß ebenso Christoph Schmid, wie auch seine slowenische »Schüler« einer gemeinsamen pädagogischen Erzähltradition und demselben Zeitgeist entstammten.
Einige Volksbücher prahlten sogar mit mehreren Übersetzungen und Ausgaben: Till Eulenspiegel wurde als »Deutscher Pavliha im slowenischen Gewande« sechsmal nachgedruckt, Münchhausen aber als »Lügenhafter Kljukec« siebenmal. Hier gilt es auch zahlreiche slowenische Robinsonaden anzuführen, die ihr Vorbild in entsprechenden deutschen Vorlagen hatten (die populärste war Robinson der Jüngere von Joachim Heinrich Campe,[5] 1779, erlebte im Jahre 1890 ihre 115. Auflage), aber nicht beim originalen Defoe.
Daß auch auf dem Gebiet der Volksliteratur die Frage der Originalität nicht ganz unwichtig war, läßt sich an der folgenden Graphik zeigen, auf der man sehen kann, wie sich bei dem beliebten Verlagshaus der Hermagoras-Gesellschaft schon bald nach dem Beginn der slowenischen Erzählprosa das Verhältnis zwischen Übersetzungen und Originalwerken verändert hat.
Das Verlagshaus der Hermagoras-Gesellschaft hat mit einmaliger Organisation für Auflagen gesorgt, die in Europa keine Parallele haben: 1918 erreichte eine einzige Ausgabe über 100.000 Exemplare, so daß ihr Buch (sechs Titel pro Jahr) jeder fünfte Slowene las (bei der deutschen Bevölkerung wäre das bei einer Auflage mindestens 4 Millionen Exemplare!).
Zur Literatur für das Volk gehören auch die Übersetzungen von Karl May. Am ende einer umfangreichen deutschen Monographie über Karl May[6] werden von Ulrich von Thun sogar einige slowenische Übersetzungen aus den dreißiger Jahren im Rahmen der Karl-May-Rezeption in Jugoslavien angeführt. Die Angaben sind sehr fehlerhaft, obgleich sich der Autor mit der slowenischen Nationalbibliographie hätte behelfen können, da er sich doch dem Thema der Rezeption dieses populären Autors bei anderen Völkern gewidmet hat. Die Berücksichtigung kleiner Literaturen gehört offensichtlich noch nicht zur fachlichen Ethik der Literaturgeschichtsschreibung. Das Versäumte soll hier im Großen und Ganzen in den Anmerkungen kurz nachgeholt werden.
Da der Jugend in den höheren Schulen Karl May in Deutsch zugänglich war, wundert es nicht, daß es vor Übersetzungen zu Originalwerken im Stile Karl Mays kam – der siebzehnjährige Gymnasiast Josip Knaflič hat im Familienblatt Dom in Svet im Jahre 1897/98 unter dem Titel Ob Balkanu eine Paraphrase des Karl-May-Romans In den Schluchten des Balkan publiziert. Die erste Übersetzung Karl Mays in das Slowenische ist der Roman Der Waldläufer in zwei Büchern (1898). Es folgten 1901 Eri und die Übersetzung des Kolportageromans Das Waldröschen oder die Verfolgung rund um die Erde und schließlich der Klassiker Winnetou mit seinen Freunden. Ende der Zwanziger Jahre haben wir schon die erste Auswahl von Mays Werk.[7]
Die Literaturgeschichte behauptet, daß früher literarische Kontakte nicht so stark waren, wie sie es heute sind; daher rührt wohl auch wahrscheinlich die Verwunderung des Autors der erwähnten Bibliographie bei seiner Entdeckung, daß man Karl May so früh und so umfassend in das Tschechische übersetzt hat, als sei dies etwas vollkommen ungewöhnliches. Vermutlich wäre die Verwunderung des Bibliographen noch weitaus größer, wenn er die Karl-May-Rezeption bei noch anderen slavischen Völkern betrachtet hätte. Die trivialen literarischen Kontakte in Europa und Amerika waren stark genug für die Überzeugung, daß wir es schuldig sind mit gleicher Berechtigung auch das Gebiet der Trivialliteratur betrachten müssen, wenn wir vom internationalen Kulturaustausch sprechen.[8]
Das 19. Jahrhundert war in übersetzerischer Hinsicht schicksalhaft an das Deutsche gebunden, wurde doch auf diesem Wege die Bekanntschaft mit der Weltliteratur gemacht, nicht selten entstanden sogar Übersetzungen aus den slavischen Literaturen erst durch diese Vermittlung. Die deutsche literarische Vermittlerrolle war freilich nicht immer so aufgezwungen, wie dies den national gefährdeten Slowenen vorkam, sondern die Einflüsse gingen auch in die andere Richtung. Der Schriftsteller und Germanist Ivan Pregelj hat im Jahre 1915 den Deutschen das umfangreichste Übersetzungsschrifttum zuerkannt im Vergleich mit anderen großen Literaturen, eine bewundernswerte Kenntnis mit fremden Literaturen und eine Beeinflussung davon. [11]
Gründe zum Abraten von Übersetzungen aus dem Deutschen, als der dem Slowenischen gefährlichsten Konkurrenzsprache hatten die slowenischen Intellektuellen im 19. Jahrhundert mehrere zur Hand. Ein linguistisches Argument war das folgende: »man sollte nicht immer nur aus dem Deutschen übersetzen, sonst kann sich das Slowenische niemals von den unpassenden Germanismen und von nichtslavischen Formbildungen befreien, die sich immer wieder in die Übersetzungen hineindrängen, wie das Mutterkorn ins Getreide« – das Deutsche ist seiner grammatischen Struktur nach eine substantivische, das Slowenische dagegen aber eine verbale Sprache.[12]
Oder ein nationales Argument:
Das Übersetzen ausländischer Klassiker ist von großem Nutzen; aber das sind nicht unsere Erzeugnisse, wir haben sie uns von den Ausländern nur für unsere eigenen Zwecke ausgeliehen. Mit der Übertragung hat sich nur die Geschmeidigkeit und Stärke der slowenischen Sprache erwiesen, nicht aber die Gültigkeit des slowenischen Geistes. [13]Ein ökonomisches Argument:
sollen doch die bewußten Slowenen nach [den Erzeugnissen der verschiedenen slavischen Sprachen] greifen und mehr und mehr der deutschen Belletristik Lebewohl sagen, die mit sehr leichter und sogar – fragwürdiger Ware unsere Gegenden überschwemmt, wobei unser Geld nach Leipzig oder Berlin abwandert. Haben doch auch Sie ihr Blatt dem höheren Ziele gewidmet, nach seinen Kräften dazu beizutragen, um aus unseren Familien die deutschen illustrierten Blätter zu verdrängen, für die sogar bewußte Patrioten sehr, sehr viel Geld ausgeben.[14]Ein ethnisches und anthropologisches Argument: »Unserem Charakter entspricht viel mehr der gesunde Ernst russischer Schriftsteller, als der ungesunde Geist, der aus den französischen und deutschen Büchern weht« (ebenda, S. 188).
Gründe der politischen Konkurrenz bevorzugten kroatische Übersetzungen der russischen Literatur gegenüber deutschen, wenn es schon keine slowenischen Übersetzungen auf dem Markt gab:
Unsere Menschen greifen, wenn sie die `Meisterwerke' der neuesten russischen Literatur kennen lernen wollen, zu deutschen Übersetzungen. [...] Ist nicht [Šenoas kroatische Sammlung von Übersetzungen aus dem Russischen] die schönste Gelegenheit, daß wir uns losreissen von den deutschen, die oft nichts anderes sind als zwar genaue, aber dennoch über jüdische Kolportage eingedrungene Übersetzungen, und daß wir die Werke der slavischen – russischen – Schriftsteller in slavischer – kroatischer Übersetzung lesen? (ebenda, S. 188).
die Übersetzer von Kunstwerken aus anderen slavischen Sprachen sollten bedenken, daß ihre Übersetzungen nicht nur von Kennern der Verhältnisse bei den anderen slavischen Stämmen gelesen werden [...] sondern, daß ihre Übersetzungen erst den Zweck haben, unsere Menschen, insbesondere unser weibliches Geschlecht, vom Lesen deutscher und italienischer Bücher abzubringen und zum Lesen slavischer Kunstwerke und zum Kenenlernen der slavischen Dinge hinzuführen.[15]Ohne Vorurteile waren die nationalen Wortführer, wenn es um entfernte Literaturen ging. Kaum ein Jahr nach dem Original erschienen nämlich 1853 sogar zwei Übersetzungen des Werkes Uncle Tom's Cabin or Life Among the Lowly Harriet Beecher Stowe, eine in Ljubljana und eine in Celovec, d. h. in Klagenfurt. Das Slowenische war natürlich nur eine von 37 Sprachen, in denen dieses einflußreiche Werk sofort übersetzt wurde. Ähnlich eilig wurden auch die kalifornischen Wildwestgeschichten von Brett Harte (1870; slowenisch 1876) und Jules Vernes Le tour du monde en 80 jours / »Reise um die Welt in 80 Tagen« (1873, slowenisch 1878) übersetzt. Die Werke weckten den Lesedurst nach amerikanischer Exotik, die immer mehr auf das Gebiet der populären und Jugendliteratur überging bis hin zur Kolportage. In diesem Rahmen kam es Anfang des 20. Jahrhunderts zu den gesammelten Werken von James Fenimore Cooper und Karl May.
Freilich meldeten sich auch zweifelnde Stimmen an einer derartigen Übersetzungspolitik, die in der Übersetzungspraxis und auch in grundlegenden Artikeln zum Ausdruck kamen:
Warum so viele fordern, man solle nur aus slavischen Sprachen übersetzen, geht mir nicht in den Kopf. Uns können auch gute Übersetzungen ausgezeichneter deutscher Kunstwerke nützen, besonders weil die denen zum Schweigen bringen, die verliebt in die deutsche Sprache unaufhörlich behaupten, die slowenische Sprache nicht genügend Ausdrücke habe, daß sie noch zu wenig geglättet sei und was es sonst noch derlei Argumente gibt.[16]
Besonders wirksam war das Verbot, bürgerliche erzählerische Gattungen zu übersetzen. Als im Jahre 1883 die Dichterin Luiza Pesjak (ihre ersten Gedichte und ein Roman waren deutsch gewesen) dem Redakteur der Klagenfurter Literaturzeitschrift Kres die Übersetzung einer deutschen sentimentalen Liebesgeschichte anbot, lehnte sie der Redakteur Jakob Sket mit dem Argument ab, solches brauchten wir nicht, das läsen die Leser doch im Original.[18] Als 1877 in Triest die Übersetzung des sentimentalen »Romans« Ljudmila des deutschen Jugendschriftstellers Franz Frisch erschien, vergaß die Kritik trotz der Achtung, die sie dem Übersetzer zugestand, nicht den Vorwurf der unangemessenen Gattungsauswahl zu erwähnen. Ohne Wissen von dieser gattungsmäßigen Spezialisierung hätte man sich die einhellige negative Aufnahme derartiger slowenischer Originalwerke nicht erklären können, die sich an verbotenen Gattungen versündigt hatten. Dieses ungeschriebene Gesetz war für die Dichterin Pavlina Pajk und ihr umfangreiches Werk an sentimentalen Frauenromanen von entscheidender Bedeutung. Rein professionell (sprachlich und stilistisch) betrachtet sind ihre Werke denen der slowenischen Klassiker des 19. Jahrhunderts vergleichbar; daß sie die slowenische Literaturgeschichtsschreibung nur unter dem Kleingedruckten erwähnt, daran ist nur die Gattungswahl der Autorin schuld, die zu sehr an die Frauenlektüre à la Eugenie Marlitt, berühmte deutsche Trivialliteraturautorin, errinnerte, wie sie die slowenische Leserschaft aus deutschen Familienzeitschriften kannte; die deutsche Gartenlaube war nämlich ganz allgemein die geistige Nahrung der damaligen gebildeten Bevölkerungsschichten.[19] Es ist verständlich, daß man E. Marlitt ins Slowenische nicht zu übersetzen brauchte. Josip Stritar, der die literarische Dame ritterlich gegen die Angriffe der jungen Naturalisten verteidigte, hatte ähnliche bittere Erfahrungen hinter sich. Unglücklicherweise erschienen nämlich im selben Jahre 1876 die Übersetzung von William Goldsmiths The Vicar of Wakefield und sein eigener »originaler Roman« Gospod Mirodolski, der offensichtlich gerade vom sentimentalen Roman Goldsmiths beeinflusst war.
Gerade diejenigen Gattungen der Erzählprosa galten als für den Übersetzer unberührbar, die eine betonte nationalkonstitutive Funktion besaßen. So konnten die häufigsten slowenischen Gattungen, die originale Bauernerzählung und der originale historische Roman, die deutsche Übersetzungskonkurrenz nicht ertragen: der deutsche Klassiker der Gattung, Berthold Auerbach wurde niemals in das Slowenische übersetzt. Übersetzungen, die aus Unwissenheit oder aus Trotz in diesen Raum getreten waren, wurden sofort von der Kritik verurteilt. Russische und andere slavische Originale erschienen der slowenischen Intelligenz nicht so gefährlich und man übersetzte regelmäßig auf jeden Fall die Romane, die eine südslavische historische Begebenheit zum Thema hatten.
Die Erwägung der nationalen Relevanz betraf offensichtlich auch den Ansatz einer neuen Übersetzungsgattung in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, die Bergerzählung (die Autoren der entsprechenden deutschen originale gelang es mir nicht zu identifizieren). Die Übersetzungsentscheidung verwies auf das Selbstverständnis der Slowenen als Alpenvolk und ihre kulturelle Angehörigkeit zum Nordwesten. Ohne daß man in diesem Zusammenhang eine Polemik hätte verfolgen können, verstummte dieser Ansatz der Bergerzählung für lange Zeit, es ersetzten ihn Übersetzungen russischer, sibirischer Erzählungen, die wir als Korrektur einer slowenischen politischen Ausrichtung auf das sprachliche, verwandte Hinterland im Süden und Osten interpretieren können.
Die Verhältnisse zwischen den beiden konkurrierenden Literaturen haben sich im dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts begonnen zu verändern. Im neuen staatlichen Rahmen ohne deutsche Schulen hat sich die Rolle des Deutschen unter den Gebildeten sehr stark verringert. Übersetzungen ersetzten den einst sehr lebendigen Umlauf fremdsprachiger Bücher in der Bildungsschicht:
Die Überschwemmung mit Übersetzungen [...] ist nicht so ein Unglück für uns. In erster Linie ist sie eher der Beweis, daß wir Slowenen durstig und bedürftig nach Lesestoff sind, sie entsteht aber zumeist aus der Tatsache, daß unter uns die Zahl derer immer größer wird, denen das deutsche Buch unverständlich ist und die deshalb nolens volens nach dem slowenischen Buch greifen.[20]In derselben Zeit hat sich die Übersetzungspolitik eine neue Strategie geschaffen. Die Opposition deutsch : slavisch verwandelte sich in die Opposition groß : klein. Sie rügte, daß man aus den großen Literaturen gutes und schlechtes übernehme, dabei aber die kleinen Völker und Kulturen vergesse: Die Finnen, Isländer, Norweger, Letten, Slovaken, also alle die, die mit dem Erhalt ihrer Existenz ähnliche Schwierigkeiten hatten, wie die Slowenen.[21]
Die Statistik der Übersetzungen in den 50-er Jahren brachte die folgenden Verhältnisse ans Licht: am häufigsten waren Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen, die Hälfte weniger aus dem Russischen, Italienischen und Deutschen, noch weniger aus anderen Sprachen. Von durchschnittlich 68 übersetzten belletristischen Buchveröffentlichungen pro Jahr waren 27 % Klassiker der Weltliteratur, 47 % zeitgenössische Literatur und 26 % Unterhaltung.
Das Übersetzen begann sich erst seit Moderne als kreative Tätigkeit auszugeben, Vorurteile über die nationale Provenienz der Texte wurden ersetzt durch das Nachdenken über sprachliche oder inhaltliche Adäquatheit der Übersetzung. Und doch: die Kritiken von Übersetzungen sind merkbar seltener als Kritiken originaler belletristischer Titel (regelmäßig liest man sie nur, wenn es um Klassiker der Weltliteratur geht) – ist das nicht eine Bestätigung, daß das Verhältnis zwischen originaler und übersetzter Literatur unter einem nationalaffirmativem Blickwinkel im Großen und Ganzen unverändert geblieben ist? Ich glaube, das dies so auch richtig ist. Von kulturellem Austausch können wir nämlich erst dann sprechen, solange mehrere Kulturen parallel nebeneinander bestehen. Das Beharren auf der Vielfältigkeit der Kulturen wird dieser Welt auch weiterhin Farbe verleihen, dazu Interessantheit und Widerstandskraft zum Überleben. Kultureller Austausch mit dem Ziel zu einer Monokultur zu gelangen (und sei sie auch noch so tolerant), wäre ein gefährliches Ziel, so wie es beispielsweise auch auf dem Agrarsektor Monokulturen eine Gefahr darstellen.
[2] Josip Stritar, Dunajska pisma, Ljubljanski zvon XVI/1 (1896), S. 20.
[3] Laibacher Zeitung 1857, Nr. 52, S. 210.
[4] Ivan Prijatelj, Slovenska kulturnopolitična in slovstvena zgodovina 1848–1895, IV (Ljubljana: DZS, 1961), S. 149–50.
[5] J. H. Campe brachte übrigens als ein pedantischer Hauslehrer in Berlin Wilhelm und Alexander von Humboldt Lesen, Schreiben und Rechnen bei (Douglas Botting, Alexander von Humboldt: Biographie eines großen Forschungsreisenden (München: Prestel, 19894), S. 8).
[6] Gert Ueding, Hg., Karl May Handbuch (Stuttgart: Kröner, 1987), S. 648–49.
[7] Gozdovnik: Povest iz ameriškega življenja [orig. Der Waldläufer ] (Ljubljana, 1898; New York, 1905; Ljubljana, 1921). – Eri (Ljubljana, 1901). – Beračeve skrivnosti ali preganjanje okoli sveta: Velik roman, poln razkritja skrivnostij človeške družbe [orig. Das Waldröschen oder die Verfolgung rund um die Erde] (Wien, 1901). – Vinnetou, rdeči gentleman: Potni roman (New York, 1906/07, 1909). – V padišahovej senci; Old Surehand (New York, 1908-1911). – Sin medvedjega lovca: Potopisni roman (Ljubljana, 1924).
[8] Trivialliteratur ist hier im Sinne Günther Fetzers zu verstehen (Wertungsprobleme in der Trivialliteraturforschung, München, 1980), der die pejorative Bedeutung des Wortes vermeidet und das Phänomen bloß mit massenhafter Verbreitung und mit betonten psycho-sozialen Funktionen definiert.
[9] Z. B. Kritiker Fr. Wiesthaler bei der Rezension der Übersetzungen von Jovan Vesel Koseski, Novice 1874, No. 36, S. 284.
[10] R. Gradovin, Nekaj misli in predlogov o našem prevajalnem slovstvu, Dom in svet 1913, S. 115–18.
[11] Zanimivosti iz nemškega slovstva, Mentor 1915/16, No. 1–2, S. 4–7.
[12] Janez Bleiweis O spisovanji dobrih slovenskih knjig, Novice XIII/19 (7. März 1855), S. 75.
[13] France Zakrajšek, Slovansko slovstvo, Novice XXIV/11 (14. März 1866), S. 87.
[14] V. B., Ruska biblioteka in naši prevodi slovanskih izvirnikov, Dom in svet 1881, No. 4, S. 187–88.
[15] Fran Govekar, Slovanska knjižnica, Ljubljanski zvon 1896, No. 3, S. 189.
[16] A. T. Mačkov, Književni oglasnik: Valenštajnov ostrog [...], Čitalnica I/1865, S. 93.
[17] France Koblar, Ivan Gornik: Prispevek k Stritarjevi dobi, Slavistična revija 1956, S. 118–47.
[18] Fran Erjavec und Pavel Flerè, Hg., Starejše slovenske pesnice in pisateljice, 1926; Slovenski pesniki in pisatelji, 14; S. LXXVII).
[19] Stanko Janež, Fran Levec (Ljubljana, 1980), S. 73.
[20] J. A. Glonar, Iz prevodne književnosti, Sodobnost 1933, S. 463–66.
[21] Ivan Albreht, Nekaj opomb o prevajalcih in prevajanju, Modra ptica 1931/32, S. 133.
Publiziert in:
Übersetzen, verstehen, Brücken bauen: Geisteswissenschaftliches und
literarisches Übersetzen im internationalen Kulturaustausch.
Hrsg. A. P. Frank et al. Berlin-Bielefeld-München: Erich Schmidt Verlag,
1993 (Göttinger Beiträge zur Internationalen Übersetzungsforschung, 8/2). 801–10.
Http://www.ijs.si/lit/biling.html, 11. April und 11. Mai 2002.
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