Miran Hladnik

Das Dilemma der Nation: Alamut von Vladimir Bartol

Der Roman Alamut von Vladimir Bartol, 1938 zum ersten Mal erschienen, ist in der letzten Zeit zum besten literarischen Exportartikel der Slowenen geworden, was uns mit Freude und Stolz erfüllt. Prešeren und Cankar haben wir nicht vermocht, in der Welt draußen an den Mann zu bringen, für Bartol aber hat sie sich nun unverhofft aufgeschlossen gezeigt. Vereinzelte Literarhistoriker säen allerdings noch immer Zweifel an der literarischen Meisterschaft des Romans Alamut. Sie sprechen von Alamut als einem Roman des Terrors, oder, falls jemandem dies als ein zu starkes, ja kränkendes Wort erscheint, als einem machiavellistischen Roman. Sie behaupten, in der gegenwärtigen verlegerischen und ihn zur empfehlenswerten Schullektüre erhebenden Popularisierung des Romans stecke ein Missverständnis. Bartol habe ihn mit der blassen Erläuterung ausgestattet, es gehe um ein "Gleichnis des Zeitalters der Schreckensherrschaften"; die Befürworter seiner Popularisierung hingegen fügen als humanistische Selbstverständlichkeit hinzu, es handele sich um ein kritisches Gleichnis, obwohl der Text keinen Anhaltspunkt für eine solche Interpretation liefert. Da nun aber nach unserem Urteil eine weniger angenehme Wahrheit über unsere nationalen Paradepferde und heiligen Kühe dem sebstbewussten Volk, das wir Slowenen sein wollen, nichts anhaben kann, schauen wir uns einmal an, worin der Machiavellismus von Alamut besteht.

Das gut lesbare Buch ist der Behandlung in Schulen sowie Neuauflagen durchaus würdig und wurde auch mit Recht in den literarischen Kanon aufgenommen. Wer als Pflichtlektüre in der Schule die Klassiker der slowenischen Literatur bereits durchgekaut hat, wird sich erinnern, dass ihm so manches Kunstwerk langweilig und schwer genießbar erschienen ist, Alamut hingegen eine angenehme und überraschende Ausnahme darstellt. Vereinfacht gesagt: Alamut ist deshalb beliebt, weil es nicht unter Slowenen spielt und insofern mit ausländischem Lesestoff vergleichbar ist, den wir gewöhnlich mit in die Ferien nehmen und zur Unterhaltung lesen. Das programmatische Festhalten der slowenischen Literatur an einheimischen Themen, das einst nationale Ursprünglichkeit, Einmaligkeit, Ganzheit, ja Selbstgenügsamkeit bewies, war denen, die aus Leselust zu einem Buch griffen, beschwerlich und langweilig geworden, weshalb sie die erzählerische Exotik von Alamut so erfreulich fanden. Wenigstens bei der Romanlektüre mögen wir Slowenen uns nicht gern selber anschauen; vielmehr fassen wir dieses Medium als idealen Raum für die malerische Wiedergabe eines Entfernten, Fremden und Unbekannten auf.

Wir besitzen den Roman in vier slowenischen Neuausgaben und etwa 30 Übersetzungen. Schon unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg wurde er ins Tschechische und ins Serbische übersetzt. Dem folgten Übertragungen ins Französische, Italienische, Spanische, Kroatische, Deutsche, Türkische, Persische, und in wer weiß wie viele andere Sprachen. In Amerika kam er erst vor kurzem in einem jungen, kleinen Verlag heraus.

Nichts gefällt den Slowenen mehr als das Jammern über erlittenes Unrecht, und so nimmt es nicht Wunder, wenn ein auf Wertschätzung bedachter Literat als jemand dargestellt wird, der zu Unrecht übersehen oder totgeschwiegen wurde. Anlässlich der französischen Übersetzung im Jahr 1988 war in einer Zeitung folgende Klage zu lesen: "Vladimir Bartol! In den slowenischen Literaturgeschichten tauchtest du nur als Fußnote auf. Als Alamut, einer der grundlegenden slowenischen Romane, herauskam, erhielt er eine einzige Kritik, und selbst in ihr wurdest du abgelehnt." Der Weg von Alamut in die Literaturgeschichte war zwar in der Tat verschlungen – der erste Lesebuchautor vergaß ihn sogar, in den zu Schulzwecken hergestellten Überblick über die slowenische Literatur aufzunehmen –, aber so schlimm dann auch wieder nicht. Alamut ist allen slowenischen Literaturgeschichten bekannt und unter die Leser wurde es durch acht eher positive und drei eher negativ ausgefallene Besprechungen gebracht. Schauen wir uns die letzteren ein wenig an.

Der katholische Kritiker Tine Debeljak beschrieb den Roman als eine Mischung aus Philosophie und "erotischen Geschmacklosigkeiten, die bereits die Grenzen künstlerischen Erzählens überschreiten und sich den Verlockungen des Kinos nähern". Bartol "versucht, den Roman vergeblich in den Menschen lebendig werden zu lassen". Am unerbittlichsten, geradezu giftig, verfuhr Filip Kalan mit dem Triestiner Schriftsteller. Er verglich ihn mit Schreibern von Kriminalromanen, wie sie in Zeitungen abgedruckt werden, sprach ihm die Fähigkeit zu psychologischer Durchdringung seiner Gestalten sowie jede Beobachtungsgabe und Ausdruckskraft ab. Als Kernfrage habe sich Bartol das Machtproblem ,– wie Macht über Menschen zu gewinnen sei, – ausgesucht und darauf mit gedanklichen Konstrukten geantwortet. Den Kritiker störten Bartols Unreife und Selbstgefälligkeit, seine Bewunderung für die Großen der Geschichte, und das Verlangen nach Größe überhaupt.

Lino Legiša hat Alamut mit Bartols erstem Buch, der Novellensammlung Al Araf verglichen. Diese bestehe "in einem irgendwie seltsamen Psychologisieren und Philosophieren", sei "ein uninspiriertes Gebilde, kurz, etwas Zwitterhaftes, Unechtes" und Zurechtgemachtes. Ein positives Urteil über Alamut leitete er jedoch aus dem Gedanken an das traurige historische Schicksal der Slowenen her, das Bartol in seinem Roman bemüht sei, zum Besseren zu wenden. Ihm imponierte Bartols Anschauung, wie er sie in den Novellen in den Mund des ihm als Vorbild dienenden Philosophen Klement Jug gelegt hat, der für die Idee des Wagnisses einstand: Es sei notwendig, gefährlich zu leben, und die Angst vor dem Tode gering zu achten; man müsse damit aufhören, sich auf Güte zu berufen; denn an Güte glaube die Welt nur, wenn sie aus Macht hervorgeht, aber ganz und gar nicht, wenn sich der Schwache mit ihr schmücke. Wir Slowenen müssten stark werden, und, um dies zu erreichen, unseren Willen schulen und den äußersten Zweifel, die schlimmste Enttäuschung erfahren. Und weiter: "Unser ganzes Volk müsste sich mit dem Tod befreunden. Ein kleines Volk sind wir und eines in verzweifelter Lage. [...] Für uns gibt es nur zwei Wege: Entweder wir bleiben, wie wir sind, und lassen uns weiterhin knechten oder wir ändern uns und nehmen unser Schicksal selbst in die Hand. Nun also, wenn wir schon sterben müssen, lasst uns ehrenvoll sterben!"

Die positiven Kritiken sprechen von Bartols Beeinflussung durch Nietzsche: Er sei von daher dem "Kampf wider die Fremdherrschaft" verpflichtet, was der Hauptgestalt, dem Herrn Seiduna, sympathische Züge verleihe. Das wichtigste literarische Sprachrohr, der Ljubljanski zvon, hat den Roman nicht besprochen, da es zwischen seinem Redaktionsstab und dem des Verlags Modra ptica, in dem der Roman herauskam, zu Unstimmigkeiten und Verärgerungen gekommen war, so dass der Verlag kein Rezensionsexemplar an die Zeitschrift geschickt hatte.

Überraschenderweise treffen die positiven und negativen Kritiken nicht an der Linie aufeinander, die in Slowenien die Geister gewöhnlich scheidet, nämlich der zwischen Liberalismus und Klerikalismus: Die Abneigung gegenüber Bartol vereinte einflussreiche Kritikerstimmen aus dem rechten wie aus dem linken Lager, wie andererseits aber die Rechte und die Linke sich auch in Bewunderung für ihn zusammenfanden. Das größte Hindernis auf dem Wege, Alamut in den Parnass zu erheben, stellte gewiss Josip Vidmar dar. Dieser beschreibt in seinen Erinnerungen nicht nur, wie Bartol ihn gebeten habe, ihm den Alamut-Stoff zu überlassen, den Vidmar bei Marco Polo gefunden und in Paris der versammelten slowenischen Gemeinde erzählt hatte, aber erklärt auch ungeniert, Bartols Schreibweise habe "nie zur bedeutenden Literatur gezählt". Fassen wir zusammen: Bartols Zeitgenossen warfen ihm schlechten Stil, faschistoide Aussagen, fremde Ideen, insbesondere sein Freudianertum, sowie die Fremdartigkeit des Schauplatzes vor. Bartol hatte seinen Roman in der ursprünglichen handschriftlichen Fassung treuherzig "einem Diktator" gewidmet, die Widmung dann jedoch auf Anraten des Verlegers gestrichen. Im Lauf der Jahrzehnte vergaß er seine frühe Bewunderung für große Tyrannen und bezeichnete den Roman später mit einiger Distanz als ein "Gleichnis des Zeitalters der Schreckensherrschaften".

Anscheinend hat ein Landsmann des Autors, Lino Legiša, Alamut noch am besten verstanden, indem er die glänzende, fremdartige Exotik des Romans an der Erfahrung der heimischen Welt festmachte, an den kämpferischen Bestrebungen der Küstenlandbewohner, sich vom italienischen Faschismus zu befreien: "Wenn du also diesen Gesetzen keinen Glauben schenken oder sie nicht annehmen magst, so sind doch deren Gedanken über das Wagnis eine Wirklichkeit des Volksstammes, die sich im Küstenland bemerkbar zu machen begann. Dieser Stamm, dem der Philosoph Jug ein Lehrmeister war, hat zwar die Tragödie von Basovizza erlebt, aber uns und der Welt gezeigt, dass wir keine geduldigen Lämmer sind und unser eigenes Leben leben wollen." Die hier Gemeinten waren Anhänger des illegalen slowenischen und kroatischen Kampfbundes TIGR (Akronym für Triest, Istrien, Görz/Gorizia, Rijeka), der mit der Planung von Attentaten auf die italienischen faschistischen Machthaber zweifellos eine (den Slowenen von einst und jetzt natürlich sympathische!) Parallele zu den zum Selbstmord bereiten Fedayin in Alamut, wie auch zu den heutigen moslemischen Terroristen darstellt. Darüber, dass Bartol mit Hilfe des Exotismus der im Persien des 11. Jahrhunderts spielenden Geschichte eigentlich etwas über die Slowenen aussagen will, war sich Legiša im Klaren: "Die Heimat bedeutet auch für Bartol das Grunderlebnis, die Welt, in die er zurückkehren muss, auch wenn er sich darin noch so beengt fühlte. Auch wenn er meint, dass die 'Mehrheit der so genannten Menschheit eine elende Sippschaft ist, die es nicht wert ist, einen Finger für sie zu rühren', war es ihm trotzdem eine Pflicht, sich für das Volk einzusetzen."

Mit den TIGR-Leuten hat Bartol sympathisiert. Als die Italiener einen ihrer Führer, Bartols persönlichen Freund Zorko Jelinčič, nach einem schweren Bergunfall fassten und verurteilten, schwor er in seinem Tagebuch Rache. Die TIGR-Leute, mit denen Bartol sich verbunden fühlte, rekrutierten sich aus der Organisation der jugoslawischen nationalistischen Jugend und schlossen sich später den Kommunisten an, einige auch den Tschetniks. Als ihr Anhänger verbüßte z.B. der Gymnasiast und spätere Schriftsteller Ciril Kosmač eine Haftstrafe. Es gab etwa tausend von ihnen. Sie arbeiteten zu dreien, halfen bei illegalen Grenzübertritten. Gegen Ende der 30iger Jahre waren sie auch an militanten Aktionen beteiligt. Sie schlugen sich für die Befreiung des weiteren Küstenlands von der italienischen Herrschaft und für den Zusammenschluss mit Jugoslawien, das sie finanziell unterstützte. Man hat an die 100 terroristische Aktionen des TIGR registriert, darunter 18 Brandstiftungen in Kindergärten und Sporthallen, die ein Zentrum der Italianisierung bildeten, 31 bewaffnete Überfälle und Anschläge auf faschistische Milizionäre und Karabinieri, 13 Morde an slowenischen Spitzeln und Gewalttätern sowie 8 terroristische Anschläge auf Sachobjekte. Den TIGR-Terrorismus heiligte die hochsinnige Idee der Volksbefreiung, weshalb die Mitglieder von TIGR 1997 mit dem Ehrenzeichen für die Freiheit der Republik Slowenien ausgezeichnet wurden.

Ein oberflächlicher ausländischer Kritiker, der den Roman offensichtlich nicht bis zu Ende gelesen hat, schrieb, Alamut sei eine Satire auf den Terrorismus. Bartols Zeitgenossen, die den Roman genauer lasen, erfüllte hingegen seine Botschaft mit Sorge, äußerten sie doch gegenüber Autor und Roman den Verdacht, es würden hier nur im Namen einer erhabenen Idee Terrorismus und Verführung propagiert. Die Hauptfigur, der Anführer der Terroristen Hassan Ibn Sabbah, überzeugt nämlich seinen Schüler, den dem Leser lieb gewordenen Ibn Tahir, die machiavellistische Weltsicht anzunehmen und sein politischer Erbe zu werden: Ungefähr so wie auch Prešerens Črtomir schließlich den verhassten Glauben der Fremden annahm und uns vorführte, wie man sich um des Überlebens willen zu verhalten habe. Alamut ist der Roman, der den unter den Faschisten vor dem 2. Weltkrieg als Nation bedrohten Slowenen eine Anleitung zum Überleben bietet. Er tritt für den Glauben an die Sinnhaftigkeit waghalsiger gewalttätiger Unternehmungen ein und sympathisiert mit jener Politik und gesellschaftlichen Aktivität, die nur mit dem unheilschwangeren Wort Terrorismus bezeichnet werden kann.

Ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen des Romans hat man Bartol als Vorbild für eine weltläufige Literatur im Unterschied zu seinen dem sozialen Realismus verpflichteten Zeitgenossen herausgestellt, die meist das damalige bäuerliche und proletarische Leben der Einheimischen beschreiben. Es wäre jedoch übertrieben zu behaupten, seine Erzählkunst stelle das Muster einer Literatur dar, die sich vor der Last nationaler und sozialer Implikationen bewahrt habe, und es gehe hier um den am wenigsten slowenischen Roman in der slowenischen Literaturgeschichte. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Schon weil er aus Triest stammt, ist Bartol außerhalb jener Sinngebung, die ihr Nationalbewusstsein und der Wunsch der Slowenen nach Emanzipation ihrer Literatur verleiht, nicht vorstellbar. Ist uns überhaupt ein Autor des weiteren Küstenlands bekannt, einer, der dem Grenzgebiet zur romanischen, kulturell tonangebenden Welt entstammt, der nicht mit Nachdruck für die Verteidigung des nationalen Anliegens der Slowenen eingetreten wäre?

Die Romanhandlung dürfte mehr oder weniger bekannt sein. Das Oberhaupt der im Iran des 11. Jahrhunderts glaubensmäßig abgespaltenen Ismailiten Hassan Ibn Sabbah, auch Seiduna genannt, erzieht auf der Festung Alamut seine Fedayin-Krieger zu blindem Gehorsam. Sie sollen als "lebende Dolche" (wie die heutigen Sprengstoffattentäter) zur Erlösung der Iraner vom Joch der Seldschuken und ihnen zur Freiheit verhelfen. Vermittels einer List bereitet er sie auf von Fanatismus inspirierte Taten vor. Mit Hilfe von Haschisch beschwört er ihnen die Illusion des Paradieses herauf, dessen sie nach dem Tode teilhaftig würden, und im Namen des Paradieses liefern sich die so Vorbereiteten bedenkenlos der Vernichtung aus.

Der weiseste seiner Jünger Ibn Tahir schmuggelt sich in das Lager der Belagerer ein und tötet den Großwesir Nizam Al-Mulk. Dieser aber eröffnet ihm vor dem Tod, wie Hassan seine Leute getäuscht hat. Der enttäuschte Ibn Tahir beschließt, sich an seinem Lehrmeister zu rächen, doch gelingt es diesem, ihn davon zu überzeugen, wie sehr seine Handlungsweise berechtigt ist. Nach einer Reihe von persönlichen Tragödien, Morden und Selbstmorden, endet der Roman mit dem Triumph von Hassans politischem Plan: Er kann sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen und das Ruder seinen Nachfolgern überlassen; Alamut proklamiert seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit von der seldschukischen Dynastie, die über den Iran herrscht. Ibn Tahir erkennt Hassans geistige Vaterschaft an und wird der Erbe von dessen manipulatorischen Ideen.

Wie schon bemerkt, stießen sich die Kritiker an dem fremden Stoff und an dem fremden Schauplatz der Handlung, als habe ein slowenischer Roman es tatsächlich nötig, in den entlegenen Iran und das entfernte 11. Jahrhundert auszuweichen. In Wirklichkeit beschäftigt sich der slowenische historische Roman mit Themen der einheimischen Geschichte auf einheimischem Schauplatz, doch ist Alamut keine so ungewöhnliche Ausnahme, hat sich doch ein nicht geringer Teil dieser Gattung bereits seit deren Anfängen mit "fremden" Themen beschäftigt.

Man vergisst oft, dass Alamut als historischer Roman gelesen wurde, und dass infolgedessen Erwartungen in seine Rezeption eingeflossen sind, wie sie für diese Gattung bezeichnend waren. Eine der obligatorischen Bestimmungen des historischen Romans war sein Eingebettetsein in die Pläne zur Schaffung und Behauptung der Nation. Zu seiner politischen Zielsetzung hat seine klare Einordnung in den Rahmen des national bestimmten Leserinteresses und seine Thematisierung von Ereignissen der Vergangenheit beigetragen, die der Leser als Vorwegnahme des eigenen zeitgenössischen politischen und nationalen Schicksals deuten konnte. Dem Leser, wie auch der Kritik und der Literaturgeschichte, waren die historischen Ereignisse immer eine Metapher für den jeweils gegenwärtigen Zustand und das Dilemma der Nation gewesen. Warum hätte Alamut da eine Ausnahme bilden sollen? Die Exotik des fremden Schauplatzes und Personals hat man also in bekannte Kategorien übersetzt: Die Festung Alamut ist ein Bild für Slowenien, das von seinen Nachbarn bedrohlich umlagert wird, Hassan Ibn Sabbah das Beispiel des erfolgreichen Führers, der "die Unseren" gegen die fremde Bedrohung verteidigt. Auf dass dieser zweifellos edle, wenngleich schwierige, beinahe schon phantastische Plan gelänge, ist er gezwungen, auf extreme Methoden zurückzugreifen.

Seiduna ist nicht der Mensch, den Machtbesessenheit und der selbstsüchtige Drang zu herrschen leiten; vielmehr handelt er aus der Hingabe an einen höheren Zweck. Er selber huldigt nämlich nicht dem obersten Wahlspruch der Ismailiten "Nichts ist wahr, alles ist erlaubt", der dem Roman als Motto voransteht. Es stört ihn, dass sein Volk alles Fremde zu sehr hochschätzt (werfen wir Slowenen uns nicht auch etwas Ähnliches vor?! ) und er entschließt sich, sein in der Jugend gegebenes Versprechen einzulösen, die Iraner aus der türkischen Fremdherrschaft zu befreien, was natürlich kein nihilistisches Ziel ist und die Slowenen an zahlreiche in der Heimat spielende historische Romane mit türkischen Janitscharen als Hauptfeinden erinnert. Eingedenk des eigenen nationalen Schicksals konnte den Slowenen Seidunas Bemühen nur sympathisch sein. Der Held lädt sich ein großes Wagnis auf die Schultern. Daher muss er ungewöhnlich mutig und innerlich auf alles vorbereitet sein, im Namen des hohen Zieles auch auf Handlungen jenseits der geltenden Moral. Der Preis für die Erreichung des erstrebten Ziels, der Tribut an den Erfolg der Aktion, ist hoch: Verlust der moralischen Unschuld und Verzicht auf persönliches Glück.

Die zentralen Figuren des Romans sind zwei Männer. Der erfahrene ältere ist der Lehrmeister, der im Einklang mit seinem höllischen Plan fremde Leben manipulatorisch steuert. Der arglose jüngere ist in der Rolle des Schülers. Ein solches Heldenpaar ist uns schon aus einer Reihe von Bartols kürzeren Texten bekannt. Der Lehrer täuscht den treuen und vertrauensvollen Schüler und stürtzt ihn in schreckliche Desillusionierung oder Rache schwörende Wut. Von da an hat der enttäuschte Schüler zwei Möglichkeiten: Verträgt er die Erschütterung nicht, so endet er im Selbstmord; hält er stand, so muss er der Erklärung seines Vorbilds für dessen grausamen Schwindel sein Ohr leihen. In den Kurzgeschichten erläutert Bartols Erzähler, worin der Sinn des manipulatorischen Gebarens besteht. Der Entschluss hierfür geht aus der Erkenntnis hervor, dass die Nation sich schon seit Jahrhunderten falsch verhält. Deshalb ist ihre Existenz bedroht, ihr Territorium schrumpft, sie bleibt arm, ohnmächtig, und fremden Herren anheimgegeben. Diese Erkenntnis führt zu dem zwingenden Schluss, sich von der verfehlten Handlungsweise und dem Glauben der Altvorderen an edle Werte wie Versöhnung, Güte und Erbarmen loszusagen. Bartols Held befürwortet einen gewagten Schritt, der die Nation auf ein Dasein in größerer Freiheit hin orientieren soll. Aber nur solche Führer sind zu mutigen Taten befähigt, die den Tod nicht fürchten. Erst wenn der aussichtsreiche jugendliche Held durch die Erfahrung einer immensen Enttäuschung gegangen ist, erst nach solcher Bewährungsprobe, ist er abgehärtet genug für die Übernahme verantwortungsvoller historischer Aufgaben und reif, die Stelle des Lehrmeisters einzunehmen. Nachdem ihm das "Herz gestählt" wurde, ist er qualifiziert, ein "Führer der Menge" bzw. der Nation ein Führer zu sein.

Die Auffassung von Alamut als einer Metapher für die slowenische Gesellschaft wird allerdings von dem unglücklichen Umstand begleitet, dass Seidunas erwiesenermaßen erfolgreiches Modell der Verteidigung der Festung Alamut, also des fraglos edlen Ziels der Verteidigung der slowenischen Nation, in der Welt einen ziemlich unansehnlichen und anstößigen Namen hat: Wenn einer, der ein edles Ziel verfolgt, damit den Gebrauch jedweder Mittel rechtfertigt, nennt man das Machiavellismus. Die slowenische Übersetzung von Machiavellis Schrift "Il principe" (Der Fürst) ist 1920 in Ljubljana erschienen und wurde als Handbuch für erfolgreiches politisches Handeln gelesen, nicht aber als exemplarisch für eine moralisch strittige Auffassung von Politik, wofür sie uns heute gilt. Bartol schreibt Machiavelli edle Beweggründe zu: "Die Ratschläge, die er dem Herrscher gibt, sind nur ein Vorwand"; mit ihnen will er "die Völker heimlich lehren, wie sie die Herrschenden am leichtesten abschütteln können". Bartol war besessen vom Thema der Macht. Die Helden seiner Geschichten lesen von Mal zu Mal die Biographien herausragender Männer, von Herrschern (Napoleon, Iwan der Schreckliche), von Denkern (Nietzsche), von Politikern (Machiavelli), von Dichtern (Goethe, Prešeren, Cankar) und empfehlen diese als Vorbilder. Der Tribut, den sie dafür zu entrichten hatten, dass sie "Führer der Menge" werden konnten, war die Absage an die Moral. Lehrreich, was dies betrifft, ist die Geschichte zweier blutrünstiger Doggen in der Novelle Al Araf, die mit Genuss einen Kater zerreißen: so solle sich auch der verhalten, der Herr seines Schicksals und des der anderen werden möchte. Oder folgendes alttestamentliche Rezept: "Keil auf Keil, Ungestüm auf Ungestüm, Feuer auf Feuer, Satan auf Satan. Wer den Satan überwältigen will, muss selbst ein Satan sein oder es werden." Bartol brauchte diese Vorstellungen nicht aus dem moslemischen Extremismus zu beziehen, konnte sich vielmehr auf das alttestamentliche Volk Israel berufen und es den Slowenen als Beispiel vor Augen halten.

Ein nicht geringer Teil des Ruhms, den der Roman Alamut zu Hause genießt, ist seiner Popularität im Ausland zuzuschreiben: Er müsse wohl schon gut sein, wenn die anderen ihn lesen. Eine solche Schlussfolgerung ist von jener servilen Art, die Bartol so sehr auf die Nerven ging, und deren Ausmerzung sich sein Werk zum Ziel gesetzt hatte. Dem Helden in Al Araf legt er folgende Worte in den Mund: "An diesem unserem ganzen Übel und an dieser unserer nationalen Schande ist die tausendjährige Knechtschaft unseres Stammes schuld. [...] Seit jeher waren Fremde die Herren über unsere Leute, höhere Wesen, für deren gnädiges Lächeln wir uns geschlagen haben und gestorben sind." Schon deshalb ist die respektvolle Erwähnung der hohen Auflagen des Romans im Ausland im Hinblick auf seine Verbreitung zu Hause nicht am Platz. Ausländische Kritiker lassen sich nicht zu einer Interpretation von Alamut herab – die erste gewichtige ausländische Abhandlung stellt die Studie des Slowenisten Michael Biggins in der unlängst erschienenen amerikanischen Übersetzung des Romans dar. Ausländische Geleitworte weisen vereinfachte und irrige Stellungnahmen auf, die in der Feststellung gipfeln, in diesem Buch sei der Terrorismus islamischer Selbstmordattentäter vorhergesagt. Und sie laden den Leser mit der irreführenden Ankündigung zum Kauf ein, es würde zum Glück darin nicht philosophiert. Wie hoch man dies slowenische Werk taxiert, zeigt die Tatsache, dass man es meist nicht für nötig hielt, es aus dem Original zu übersetzen. Obwohl man bei den Berichten über slowenische Werke im Ausland fast nie auf das Wort Verlag trifft, ohne dass es von dem Attribut "angesehen" begleitet wäre, ist es den slowenischen Publizisten nicht möglich, bei den Ausgaben von Alamut auch nur eine solch leere Worthülse zu gebrauchen. Die Verlage, die das Werk drucken, verlegen nämlich in der Hauptsache Groschenromane.

Natürlich ist nichts dabei, wenn die Mehrheit der Franzosen oder Deutschen Alamut als Abenteuerroman lesen. Es wirkt nur störend, wenn wir solchem slowenischen Vordringen in die Welt in unserer kirchturmspolitischen Beschränktheit eine größere kulturelle Bedeutung beimessen, als es eine solche in Wirklichkeit hat. Alamut wurde aus der Sorge um Slowenen für Slowenen geschrieben – dies müsste uns bei seiner Kanonisierung ausreichen.


Übersetzt von Madita Šetinc Salzmann. Salzburger Festspiele 2005: Alamut. 20–23. Postavil na http://www.ijs.si/lit/alamut_de.html Miran Hladnik 5. maja 2006.
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